EDITORIAL: Am 16. Juli wäre Jörg Fauser 70 Jahre alt geworden. Ist es da angebracht dem Amerikaner unter den deutschen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts (FAZ) nicht nur eine komplette, sondern auch um 4 Seiten erweiterte DreckSack-Ausgabe zu widmen? Wir meinen ja. Auch und gerade weil Fauser selbst fast dreißig Jahre nach seinem Tod noch die Geister scheidet. Von den einen verehrt, den anderen mit herablassender Ignoranz behandelt, berufen sich noch immer zahlreiche ältere aber auch jüngere Autoren auf diesen Außenseiter.
Unser Dank für die problemlos und pünktlich, selbstlos und generös eingereichten Beiträge gilt den alten Weggefährten Fausers, D. B. Blettenberg, Frank Göhre, Jürgen Ploog, Raimund Petschner und dem vielen nur als Niko aus Rohstoff vertrauten Theos Romvos. Dem polnischen Germanisten Dr. Maciej Jêdrzejewski und dem britischen Rockkritiker Mick Wall. Den Übersetzern Harry Rowohlt, Mark Terrill und Mitch Cohen. Den writers in their own right Katja Kullmann, Jochen Rausch, Thor Kunkel, Mike Litt, Gernot Wolfram, Stefan Maelck, Jürgen Benvenuti, Enno Stahl und Wolfgang Welt. Den schon früh auf Fausers Spuren wandelnden Wolfgang Rüger, Oliver Bopp, Amir Shaheen. Dem Biographen Ambros Waibel, ebenso wie Nina Scholz, Patrick Blauschek, Philipp Haibach, Stephan Uersfeld, Ludwig Engel, Alexandra Bahr und Martin Willems. – Aber vor allem Matthias Penzel, dem unschätzbaren Rat- und Ideengeber, Vermittler und Mitherausgeber dieser Sonderausgabe, ohne den es diese Fauser-Party nicht gegeben hätte. Und während sich Marcel Reich-Ranicki einst in Klagenfurt entrüstete: „Herr Fauser, Sie gehören nicht hierher!“, rufen wir ihm nach: „Und ob er hergehört! Immer noch! Wir stoßen auf ihn an!“
FOTOGRAFIEN: Florian Günther (Berlin)
Anhang zu Seite 21 der aktuellen DreckSack-Ausgabe: "Lazarus go home"
DER REBELL, DER LEBENSRETTER, DER LYRIKER
Die Berliner Zeitschrift DreckSack verehrt Jörg Fauser
Von Kristina Petzold
Jörg Fauser findet man nicht auf den Logenplätzen der deutschen Nachkriegsliteratur, sondern bei den Schmuddelkindern, immer noch. Dort spielte er so unerwartet
geschickt mit der deutschen Sprache, daß er einen Ehrenplatz verdient hat. Aber vermutlich wäre ihm diese Gesellschaft sowieso zuwider gewesen.
Florian Günther, Berliner Schriftsteller und Fotograf – für den Fauser »der einzige deutsche Schriftsteller ist, der [ihm] je etwas bedeutet hat« – setzt ihm in
seiner Grassroots-Literaturzeitschrift DreckSack ein Denkmal aus Papier. Heute wäre Jörg Fauser (1944–1987) siebzig Jahre alt geworden.
»Ein Psychiater hätte an uns beiden seine helle Freude gehabt. Denn ich schrieb.« Eine Diagnose von Fausers literarischem Alter ego Harry Gelb. Die Figur aus seinem
bekanntesten Roman »Rohstoff« (1984) warf er derselben Bestie zum Fraß vor, die ihn selbst Ende der sechziger Jahre im Istanbuler Drogenviertel angefallen hatte: dem Wunsch zu schreiben. Im
selben Jahr versetzte ihm Marcel Reich-Ranicki beim Bachmann-Preis einen vernichtenden Schlag: »Sie gehören nicht hierher!« Inzwischen wird er aber von einigen Schriftstellern als ein Abkömmling
Mark Twains, William Faulkners oder Joseph Roths betrachtet.
Florian Günther, der vielleicht auch ein gutes Alter ego von Fauser abgegeben hätte, versammelt jetzt auf 24 gelbstichigen Seiten Kritiker, Wissenschaftler und
frühere Weggefährten zur gemeinsamen Gedenkfeier. Mit dabei interessanterweise auch Thor Kunkel, sein Text heißt: »Ein hessischer Jungspund ohne Connections«.
Jeder dieser Autoren rammt seinen Textstein an den des Nachbarn und vergrößert damit das Mosaik aus Pflastersteinen über und für Jörg Fauser. Manche fordern die
Heiligsprechung, einige zucken die Achseln: »Ich schätze Fauser eher so wie ein kleines kühles Kölsch in der verrauchten Bar an der Ecke: Ex und hopp«, schreibt Ludwig Engel,
Kulturwissenschaftler und Zukunftsforscher der jungen Generation. Jörg Fauser schimmert jedenfalls durch die Seiten so blutverschmiert und schäbig, wie seine eigenen Bücher es oft
sind.
Viele Schattierungen werden erst mit den Perspektiven der Schreibenden sichtbar: Fauser der Rebell, der Lebensretter, der Lyriker, der Saufkumpel, der Maler, der
harte Brocken, der Fatalist, der Journalist, der Süchtige, der Schreiber… Die Formen reichen vom fiktiven Interview über klassische Essays bis hin zu persönlichen Erinnerungen und
Lektüreerlebnissen. Wer Fauser nicht kennt, wird ihn danach lesen wollen. Einziger Kritikpunkt: Auch auf 24 Seiten kann es Déjà-vu-Gefühle geben.
Veröffentlicht in: „Junge Welt“ vom 16.07.2014 / Feuilleton