Florian Günther
AUS DER TRAUM
75 neue Gedichte
Mit 43 Fotografien von
Michael Dressel (Los Angeles)
130 x 200 mm, Französische Bindung 180 Seiten,
Moloko Print-Verlag 2017
Das Leben ist woanders
Sie waren
beide arbeitslos, aber
betrunken war
immer nur Freddy.
Er trank sogar
noch mehr als ich.
Und Elke
hatte die Nase gestrichen
voll von seinen
Eskapaden
und Ausflüchten.
Nach all den
Jahren schrien sie
sich nur noch
an. Und die
Kinder kamen schon
seit Monaten
nicht mehr vorbei.
Tja, grinste
Freddy. Das Leben
ist woanders …
Willste nicht zu
unserer Scheidung
kommen?
Ich nickte,
aber ich bin nicht
hingegangen.
Ich mochte sie
beide. Und
ich hatte einfach keine
Lust, mit ansehen
zu müssen,
wie sie sich gegenseitig an die
Gurgel gingen.
Aber ich traf
sie dann
drei oder vier Tage
später bei Ertan,
und sie waren wieder
zusammen.
Diesmal
schaffen wirs, sagte
Freddy. Prost!
Und Elke nicke
tapfer. Wir schaffen das, Fridolin.
Wir lieben uns, weißte.
Wir stießen
darauf an.
Das Ritual
Hol den Teppichklopfer.
Er lief los und holte ihn
aus der Kammer.
Den Hocker!
Er holte den Hocker
aus dem Bad, zog
sich die
Hosen runter
und legte sich darüber …
Und nun ab ins Bett!
Er ging in sein Zimmer,
zog sich aus,
legte sich ins Bett.
Es war noch hell
draußen, und er dachte:
Warum lebt der?
Warum lebe ich?
Er wollte lieber
tot sein.
Und er schämte sich seiner
Tränen, aber er
konnte nicht anders.
Er lag da und er
er fragte sich,
warum er nicht tot sein
konnte.
All die Jahre,
die wie Steine vor
ihm lagen;
acht waren gerade mal
vorbei.
Der Flaschensammler
Da ist er wieder,
klaubt leere Flaschen
aus der Tonne,
sieht sich ängstlich um.
War schon
jemand vor mir hier,
an MEINER Tonne?
Vor seiner
Scheidung war
er Dreher,
hatte Kinder, eine Frau,
kaum Sorgen …
Jetzt schlurft er
auf mich zu.
Blickt flüchtig auf,
die Hose auf
Halbacht,
die Nike-Trainingsjacke
löchrig und
verdreckt.
Was geht ab, Mann?
Er antwortet
mir nicht.
Los komm,
ich geb dir n Bier aus,
hab grad
Geld gekriegt.
Kann nicht,
bin in Eile.
Na, gut. Aber
dann nimm
wenigstens den hier …
Er bleibt
kurz stehen.
Beäugt
mich argwöhnisch
und setzt sich
wieder in
Bewegung.
Was soll
ich damit?
Kauf dir was
Schönes.
Mach mal ne
Pause. Iß was; was
immer
du willst …
Zögernd greift er
zu. Stopft
sich den Schein
mit klammen
Fingern
in die Tasche,
nickt, zieht
einen süßlichen Geruch
hinter sich
her.
Machs gut,
Kumpel!
rufe ich ihm
nach. Viel
Glück und bis die
Tage!
Aber er
hört mich nicht.
Er ist
beschäftigt.
Er streift
durch sein Revier …
Gute alte Schule
Ungeziefer!
Gelumpe! Pack! Gesindel!
Na, immerhin,
denke ich, stellen sie
sich den
Neuen vor.
Des Wahnsinns fette Beute
Der Wagen sprang nicht mehr an,
und ich ging da rein und
sagte: Ich bräuchte ne Batterie, habt ihr so
was da?
Was issen das für eine?
fragte mich die Chefin.
Ich sagte es ihr. Und sie ging ins Lager,
um eine zu suchen; fand aber
keine mit diesem
Fabrikat. Aber dann fiel ihr ein,
daß ja genau
so eine im Schaufenster stand.
Ich baute das Ding ein, und
der Wagen sprang an, und nur um ganz
sicher zu gehen, fuhr ich gleich
noch dreißig oder vierzig Kilometer
durch die Gegend.
Aber am nächsten Morgen
war wieder Ebbe. Ich schaffte sie zurück,
knallte sie auf den Verkaufstresen
und sagte zu der Alten:
Was soll der Scheiß? Das Teil
hier ist kaputt, futschikano!
Was für einen Müll dreht ihr den
Leuten hier an?!
Aber sie wollte sie nicht zurücknehmen.
Und anstatt die Bullen zu rufen
und die das klären zu lassen, ging ich
bei einem Freund vorbei, der gleich um die Ecke
wohnt, und fuhr mit ihm zu
A.T.U., wo ich eine für über 100
Euro erstand. Und was
soll ich dir sagen: Sie funktionierte!
Alles tipp topp; nur mein Kumpel war
sauer.
Warum hast du ihr das durchgehen
lassen? sagte er. Hol dir
wenigstens dein Geld
zurück! Sag ihr, daß du ihr sonst den
Hals umdrehst!
Aber er verstand das nicht.
Ich war so angewidert von dem
raffgierigen Weib, daß
ich da nur noch wegwollte, egal was es mich
kosten würde … Und egal was
die auch immer sagen:
Geh zu keinem Pollaken, geh zu keinem
Kümmelfresser, die bescheißen
jeden! Mich hat ne Deutsche beschissen. Und das
war bestimmt nicht
die letzte.
Plausch
Müde siehste
aus. Wo kommstn
her?
Von Arbeit.
Was
machstn?
Immer
dasselbe.
Verstehe.
Das Ende
einer Volksbühne
Kunst soll erheben,
statt in den
Rinnstein niederzusteigen!
sagte Wilhelm der II.,
als man ihm
Grafiken
von Käthe Kollwitz
zeigte.
Der Mann (und seinesgleichen)
scheint
unsterblich zu
sein.
Das Gute
Es ist gut zu wissen, daß es auch
die andern gibt; die, die
dir den Arsch abwischen, ohne zu murren.
Die dir ein Lächeln schenken
mitten im Feiertagsgewühl, die ihren Wagen
abbremsen, damit du die Spur wechseln
kannst.
Es ist gut zu wissen, daß
es Menschen gibt, sie sich dem
Schlechten widersetzen,
ohne an den Preis zu denken; einfach
so, ganz selbstverständlich.
Und es ist gut, hier oben zu
sitzen. Allein. Ohne Frau und ohne
Streit. Und seinen Gedanken
nachzuhängen, während es draußen schneit
und der junge Vietnamese seinen
Laden wie immer pünktlich
auf die Minute öffnet und auf Kundschaft
wartet, während er auf seinen kleinen Farbfernseher
blickt.
Und es ist gut zu wissen, daß es
nicht sehr lange dauern wird, bis der
erste bei ihm eintritt. Ein
Feuerzeug erwirbt, Kaffee oder ein Heft
mit Kreuzworträtseln, und daß er ihn bedienen
wird wie jeden andern auch,
und ohne einen Unterschied zu machen;
freundlich, mit einem gutgemeinten
Scherz auf den Lippen. Während die Kasse
klingelnd aufspringt und ein Taxi auf der andern
Straßenseite
hält.