Florian Günther
DICKER MAX & CO:
59 Gedichte
Edition Lükk Nösens 2002
100 Seiten, Paperback
20 x 13 x 0,6 cm
Dicker Max & Co.
Ich hob die Ellenbogen hoch und deutete auf
meine Narben. Doch sie wollte sie nicht sehen. Sie
saß nur da und blätterte in einem Frauenmagazin,
während ich mal hier-, mal darauf tippte. Dann
schwang sie ihren Hintern aus der Tür, und
als sie wieder reinkam, sagte sie:
Was ich schon immer gern mal wüßte: Weißt du
eigentlich, warum ich mich in dich verknallt hab?
Nee.
Weil du mir nie was vorgemacht hast! Aber
je länger ich mit dir zusammen lebe, desto mehr
glaub ich, daß du mir nur vorgemacht hast, daß
du mir nichts vormachst.
Ich drehte mich zu ihr herum.
Kannst du das mal wiederholen?
Du bist doof. Du denkst, ich würde nicht bemerken,
daß du eigentlich nur Schiss vor Frauen hast.
Haben das nicht alle Männer?
Schon. Aber keiner, den ich kenne, würde
deshalb so den dicken Max rauskehren, wie du.
Ich nahm die Arme wieder runter, setzte mich
und legte meinen Kopf auf ihren Schoß. Da hatte
sie mich also wiedermal erwischt. Na und? Sie
war da. Ich war da. Die Lampe mit dem
eingestaubten Schirm war da, und egal was alles
noch passierte, an diesem Abend würde die Welt
nicht untergehen …
Ich hob ich den Kopf und sah sie an.
Willst du nun die Narben sehen, oder nicht?
Na, also schön. Nun zeig sie mir schon her, die
gottverdammten Narben. Aber wenn der Film beginnt,
läßt du mich in Ruhe, versprochen?
Ich versprach es ihr, stellte mich wieder in die Mitte
des Zimmers und hob die Arme hoch …
Ein Augenblick der Wahrheit
Vorigen Mittwoch sah ich einen
Film im Fernsehen, der von den
wolgadeutschen Übersiedlern
handelte, die nicht sehr weit
von hier in einem Neubausilo
wohnen. Nachdem sie jahrelang
gespart hatten, fuhr einer
von den Jungs mit seiner Mutter
in die Heimat, und erzählte
seinen Leuten da:
Stellt euch vor, wie komisch
die Deutschen sind: Sie gehen
auf die Straße und reden
mit ihren Hunden.
Da wurde mir mit einem Schlag
bewußt, wie schlimm es
um uns steht.
Zum Flughafen, bitte
Wir waren zu dritt, zwei
Japaner und ich. Die Japsen
kannten meinen Fahrstil noch
nicht und hatten einen
Heidenschiß. Ich auch. Aber
meiner war größer. Denn
im Gegensatz zu ihnen,
mußte ich ja noch
zurück.
Sieger
Ich habe sie noch vor
Augen, wie sie in ihren Kisten
Richtung Westen rollten.
Wie sie hupten und johlten
und lachten, und wie
sie jedem zujubelten,
der ihnen das
Blaue vom Himmel
versprach.
Und heute?
Heute siehst du sie
in langen Gängen
sitzen.
Stumm, verkatert,
mit hängenden Köpfen,
sitzen sie da und
rascheln
mit Papier.
Auf der Straße gibts
nur einen Sieger
Die Töle war bissig, doch
ich war besoffen und mutig
und zum Äußersten entschlossen,
und ich hob den Arm,
und der letzte Tropfen
lief mir aus der
Flasche in den Ärmel.
So standen wir da
und starrten
uns an. Auge
um Auge, Zahn
um Zahn.
Und einer von uns
beiden würde heute auf
der
Strecke bleiben.
Und grade als ich
noch so dachte: eigentlich
schade, daß wir
nicht gemeinsam in
derselben
Liga spielen, sprang das
Mistvieh hoch, und ich
schlug zu, mit
allem was
ich aufzubieten
hatte.
Zwei die die Straße runtergehen
Wir gehen Hand in Hand
die Straße runter. Sie schlank
und braungebrannt, mit
kurzem Rock und
meterhohen Stiefeln. Ich
mit ausgebeulten Hosen,
durchgelatschten
Schuhen, dickem Bauch
und Kippe
in der Flappe.
Sag mal, Zicke,
warum starren uns
die Leute
so an? frage
ich sie.
Weil sie
neidisch sind,
sagt sie.
Auf wen?
Auf dich oder
auf mich?
Na, dreimal
kannste raten,
Penner.
Jahre her …
… da sah ich in den
Nachrichten, wie in São Paulo
ein Hochhaus
brannte, und wie sich die
Straßenkinder einen Jux daraus
machten, die Verbindungsstücke
der Feuerwehrschläuche
zu trennen, während
ständig Leute durch die Luft
segelten. Und ich erinnere mich
noch gut, wie sie
umhersprangen, und
wie einige der Schaulustigen
applaudierten, und wie der
Reporter erklärte, sie täten
es aus Frust und Langeweile.
Ich saß da und konnte mich
nicht rühren. Ich fand das
irgendwie grauenhaft und roh
und unmenschlich und
unentschuldbar. – Aber Sie
dürfen eins natürlich nicht
vergessen: Damals
stand die Mauer noch.