Florian Günther
FALSCHE HOFFNUNGEN
Mit Illustrationen von
Henni Hennig
120 Seiten
Französische Bindung
Moloko Print-Verlag 2022
BSR
Ich komme
morgens aus der Kneipe,
da ist sie schon am
Straßenfegen.
Also erschrecke ich
sie mal mit einem kräftigen:
Guten Morgen,
Sie Fleißige!
Sie zuckt
zusammen und
ruft: Sowas
hab ich ja noch nie
erlebt!
Na, um so
besser! rufe ich zurück.
Denn ich
beabsichtige, noch am heutigen
Tage ein Poem über Sie
zu verfassen!
Du willst
mich wohl veralbern,
du oller Suffkopp?
Nicht im
Mindesten, Teuerste!
Sein Sie gewiß,
daß ich Sie in den
schönsten Farben malen
werde!
Belustigt
schüttelt sie den
Kopf und wendet sich
wieder ihrer Arbeit
zu.
Ich eile nach
Hause, fahre den
Rechner hoch
und mache mich ans
Werk.
Und alles mit viel Soße
für Olaf
Mein Freund Olaf
ist bei der Polente. Und
immer wenn er
mich sieht, zaubert er ein Netz
mit Tupperdosen hinter seinem Rücken
hervor.
Seine Kinder sind
schon aus dem
Haus. Jetzt bin ich sein
Kind.
Vollgestopft
mit süßsauren Eiern,
gefüllten Paprikaschoten,
Kohlrouladen,
Eintöpfen, Rippchen,
Nüssen und
Keksen, ganzen
Fischen und Salaten, schlurfe
ich vor mich hin.
Ich wiege 15
Kilo mehr als noch
vor einem halben
Jahr. Ich brauch den ganzen
Bürgersteig
für mich. Die Leute
grüßen mich nicht mehr,
denn sie erkennen mich nicht;
sie würdigen mich
keines Blickes.
Ich bin ein Aussätziger,
ein fetter Wal.
Mürrisch, prallgefüllt mit Kalorien,
geplagt von grauenhaften
Blähungen …
Doch Olaf stört
das nicht.
Er liebt mich.
Er steht schon wieder am
Herd.
Heute Abend
kocht er
philippinisch.
Das hat
ihm seine neue
Flamme
beigebracht.
Kintopp
Es soll einen
französischen Spielfilm geben,
der von einer
Lehrerin handelt,
die ihren
Schülern etwas
beibringt.
Nicht zu
glauben, was denen
alles
einfällt.
Chatschaturjan
Meine Zahnärztin
ist Armenierin und so nett,
daß ich mich jedesmal
auf sie freue.
Was wollen Sie
heute für
Musik hören? fragt sie
mich.
Wie wärs denn
mit Chatschaturjan? frage
ich zurück.
Sie lacht
(dreht sich um),
schaltet den
CD-Player an und die Musik
erklingt …
Ist es Ihnen
so angenehm?
Unbedingt!
sage ich, während
sie zum
Bohrer greift.
Wenn Ihnen
was wehtut, bewegen
sie die
linke Hand,
Herr Günther, ja?
Ich nicke,
sie bohrt. Wir
haben beide unsern
Spaß.
Gib mir 5 Minuten
Sie saß da
drüben auf der
Couch.
Und es wäre
mir ein leichtes,
zu schreiben,
daß wir nachher in die Kiste
gesprungen sind und
die große,
unschlagbare
Nummer abgezogen
hätten.
Aber das
war es nicht.
Es war der
Augenblick, in dem sie da
saß, mich diesen
einen Satz
zu Ende schreiben ließ, ohne zu
mosern, ohne zu sagen:
„Jetzt bin ich schonmal da,
und du Arschloch läßt mich hier wie blöde
auf dich warten …“
in dem ich mich in sie
verliebte.
Und ist es
nicht so, daß uns gerade
diese kleinen
Gesten über Wasser
halten?
Daß wir in
einem Meer von
Scheiße
schwimmen,
weil wir nicht warten
können? Weil
wir nicht die Geduld aufbringen, uns
wenigstens 5 Minuten zu
geben, bevor wir
uns wieder und wieder
und wieder in Ketten legen?
Ich weiß
es nicht. Ich bin
ratlos. Und
ich werde immer
älter.
Absage
Hör mal, Charlie,
ich kann nicht kommen,
ich bin in
eine Italienerin
verknallt.
Dann bring
sie doch mit!
Sie weiß es ja noch
nicht!
Schule
Als ich meine Tochter
zum ersten Mal
allein zur Schule schickte,
schlich ich ihr heimlich
nach, um zu sehen, ob ihr irgend
ein Perverser folgte.
Sie schritt zügig aus,
legte alle paar
Meter einen kleinen Hopser
ein und schien sich
richtig auf
die Schule zu
freuen.
Was für ein
Glück!
dachte ich.
Doch es
hielt nicht lange
an.