Florian Günther
GEDICHTE AUS DEM HOCHPARTERRE
Mit 43 Fotografien von
Michael Dressel (Los Angeles)
130 x 200 mm, Französische Bindung 180 Seiten,
Moloko Print-Verlag 2019
Im Baumarkt
Als ich mir vorhin
30 Meter Maschendrahtzaun
kaufen war, zählte ich
der Frau an der Kasse meine letzten
Münzen in die Hand und sagte: Ich glaube,
das kommt so hin.
Und die Verkäuferin
sah auf und sagte zwinkernd:
Wer glaubt, der weiß
nicht. Und ich
dachte: Wenn ich
geahnt hätte,
was man hier
für 30 Meter Zaun
noch obendrauf
bekommt, hätte ich
noch 20 Meter
mehr genommen.
Nur ein weiterer Tag
Schon das dritte Mal
in dieser Woche
Pellkartoffeln und Rührei.
Und die Sonne
hat sich wieder mal
verkrochen.
Und irgend etwas
drückt mir auf die Stimmung,
während ich hier oben
sitze, tippe und
einen Krankenwagen nach
dem anderen die Straße runterjagen
höre.
Und die Luft ist stickig.
Staub wirbelt auf.
Und der bucklige
Rumäne an
der Kreuzung verkauft den
Straßenfeger, lächelt
freundlich und
bedankt sich auf deutsch,
was mehr ist, als alles,
was jeder Deutsche je woanders
geleistet hat.
Und die Nutten
wälzen sich noch mal
herum.
Und mancher
schwelgt im Luxus,
während sich der
Rest in Ängsten verliert.
Niemand wird
klug. Alle machen weiter.
Was sonst.
Kratzbürste
Gestern hat
sie mich gekratzt.
Knapp neben
meinem linken
Auge hat
sie mich erwischt.
Erst acht
Monate alt.
Und schon
wie die Großen.
Freunde
Karl Marx hats
gern krachen lassen,
auch wenn er
selten dazu kam.
Als er sein Hausmädchen
schwängerte, nahm
Engels das Kind auf seine Kappe,
um die Ehe
seines Freundes zu
retten – und
zahlte ein Leben
lang dafür.
Marx hatte eine
Menge Grips.
Aber Engels hatte
mehr.
Jeder für sich
Sie lungern
am Geldautomaten rum.
Trinken Bier, lassen
Selbstgedrehte kreisen und blinzeln
müde in die Sonne.
Und ich stehe
neben ihnen. Hebe 50
Mücken ab und
stopfe sie mir in die
Hosentasche, als wärs nix.
Wie wärs, wenn
du uns was
davon abgibst? grinst der
eine, mit der schiefen
Mütze.
Es gab mal
eine Zeit, da hätte ichs
vielleicht getan.
Im Rotlichtviertel
Es war weit
nach Mitternacht, und ich
würde nie wieder
einen hochkriegen, als
ich sie
rufen hörte:
Na, wat is!
Zu faul oder wat,
wa?
Schon als ich
sie bezahlte, sah sie
fern.
Auch als ich
schwitzend
auf ihr
lag und pumpte,
sah sie fern.
Und auch,
als es mir endlich
kam.
Sie stieß
mich von sich runter,
hievte ihren
schwarzen Arsch
über eine dreckiggelbe
Babybadewanne und spülte sich
die Möse, ohne auch nur
eine Szene
zu verpassen.
Es war ein
kleiner, grauer Kasten,
in dem gerade
eine Seifenoper
lief.
Es ging um
Geld, Schönheit,
Liebe
und Glück.
A 10
Ich fahre gelassene
100. Spare Geld und Benzin,
lutsche eine Fishermans-Friend-Menthol-Pastille
und höre mir eine Radiosendung an,
die mich darauf einstimmt, daß der Chinese
die Weltherrschaft übernimmt.
Während die anderen
Verkehrsteilnehmer hupen und
schreien, mir den
Stinkefinger zeigen, die
Lichthupe betätigen und wie wild mit
den Fäusten fuchteln.
Genau so einer
wollte ich schon immer
mal sein.
Luxus
In der Berliner
Stadtbibliothek verdiente
ich in den 80er
Jahren 415 Mark Ost
im Monat, aber ich war trotzdem jeden
Abend blau.
Für meine kleine
Wohnung
zahlte ich 25 Mark Miete.
Die Schachtel
Karo kostete 1,60 und ein Ticket
für die U-Bahn 20
Pfennig.
Alles war
billig. Alles war
grau.
Ich kannte
sogar
einen, der sich eine
ungeöffnete
Dose Heineken
auf die Kommode stellte,
nur weil sie so
schön
bunt war …
Das könnte
sich heute keiner
mehr
leisten.
Paris 2014
In Montparnasse
suchten wir das Grab von
E. M. Cioran.
Laut Plan standen
wir davor.
Doch auf
dem Grabstein
stand ein anderer
Name.
Ihm hätte
das gefallen.